Durch den Ersten Weltkrieg verlor Deutschland seine Kolonien. In Namibia ist die Vergangenheit der Kaiserzeit besonders präsent: durch Tausende Deutschstämmige - und die Erinnerung an "Kaisers Holocaust".
Es ist fast 100 Jahre her, dass Deutschland im Ersten Weltkrieg seine Kolonie Deutsch-Südwestafrika verlor. Doch Auseinandersetzungen mit der einstigen Kolonialmacht werden im heutigen Namibia bis heute geführt. Dabei geht es um Gebeine und Schädel, um Denkmäler und Städtenamen - und um Forderungen nach Reparationszahlungen.
So wurde zu Weihnachten 2013 aus dem Zentrum der Hauptstadt Windhuk das fast zehn Meter hohe deutsche Reiterdenkmal in aller Stille abtransportiert und in den Hof des Nationalmuseums verbannt. Nur ein Zeichen für die Anstrengungen der Regierung, Spuren der deutschen Kolonialzeit von 1884 bis 1919 zu beseitigen. Denn das 1912 eingeweihte Denkmal war den deutschen Opfern und "tapferen deutschen Kriegern" der Kolonialkriege gegen die Herero und Nama im damaligen Deutsch-Südwestafrika gewidmet.
In die Wüste getrieben
Die Regierung hat auch andere Symbole deutscher Kolonialherrschaft im Visier: Ortsnamen wie Lüderitz oder Schuckmannsburg sollen afrikanischen Namen weichen - was manche der etwa 20 000 Deutschstämmigen im Land empört. "Die Identität der Stadt wurde zerstört, das ist kultureller Raubbau", zitierte die deutschsprachige Allgemeine Zeitung deutsch-namibischen Kulturhistoriker Andreas Vogt.
Ein weiteres, zwischen Berlin und Windhuk schwelendes Problem ist die Frage, ob Deutschland für einen Völkermord verantwortlich ist und deshalb den Nachfahren der Opfer hohe Reparationszahlungen schuldet. Unbestritten ist, dass zwischen 1903 und 1908 Tausende Angehörige der Stämme der Herero und Nama bei Kämpfen, in Gefangenenlagern und auf der Flucht ums Leben kamen - die Deutschen trieben mitunter auch Frauen und Kinder in die Wüste.
In einem UN-Report hieß es 1985, dass von 80 000 Herero nur 15 000 überlebt hätten. Manche Historiker bezeichneten den Feldzug der deutschen Kolonialmacht unter dem gnadenlosen Lothar von Trotha als des "Kaisers Holocaust". Sie sehen in der Vernichtung der Hereros "die kolonialen Wurzeln der deutschen Nazi-Ideologie", die schließlich in der Ermordung von sechs Millionen Juden geendet habe.
Alle Bundesregierungen haben bisher allerdings betont, dass sie zwar zur "historischen und moralischen Verantwortung" gegenüber Namibia und den Herero-Nachfahren stehen. Deutsche Minister wie die frühere Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) sprachen von der "moralisch-ethischen Verantwortung" Deutschlands, auch von "tiefem Bedauern" und "von Scham".
Aber weder wird der Begriff Völkermord akzeptiert noch die Forderung nach Ausgleichszahlungen. Denn unter Historikern ist umstritten, welches Ausmaß die Gräueltaten der Kolonialherren wirklich annahmen. Viele denken, dass die Deutschen damals kaum üblere Kolonialherren waren als Briten, Franzosen oder Portugiesen.
Blutige Feldzüge der Deutschen auch in Ostafrika
Verantwortlich für Vernichtungsfeldzüge werden die Deutschen auch in Ostafrika gemacht, wo 150 000 Menschen beim "Maji-Maji-Aufstand" (1905 bis 1907) getötet worden sein sollen. Mit der Niederlage im Ersten Weltkrieg ging die kurze deutsche Kolonialzeit schon wieder zu Ende, in Afrika ebenso wie in Asien und im Pazifik. Abgesehen von Namibia ist dieser Teil der Geschichte auch weitgehend abgeschlossen.
Ohnehin hatten die erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts deklarierten Überseegebiete nie eine große politische oder wirtschaftliche Bedeutung für das Kaiserreich. Reichskanzler Otto von Bismarck zeigte kein großes Interesse an Kolonien, auch wenn bei seinen Landsleuten der Ruf nach mehr Weltgeltung Deutschlands immer lauter wurde. Auf Druck des Bürgertums sowie einzelner Kaufleute und Abenteurer, die mit brutalen Mitteln und üblen Tricks afrikanische Gebiete in Besitz genommen hatten, wurden in Afrika und Asien "deutsche Schutzgebiete" ausgerufen.
Die heutigen Staaten Namibia, Togo, Kamerun, Tansania, Burundi, Ruanda und Mosambik wurden so ganz oder teilweise Teil des Deutschen Kaiserreiches. Sie kosteten Berlin - mit Ausnahme Togos - aber letztendlich Unsummen, ohne je als Rohstofflieferanten oder Absatzmärkte wirklich wichtig zu werden. Die Erschließung der riesigen Überseegebiete erwies sich als viel problematischer als erwartet.
Zwar errichteten Deutsche überall Stützpunkte, Eisenbahnverbindungen und Schiffslinien, bauten Kolonialgebäude, gründeten Schulen und Krankenhäuser. Aber letztendlich prägten sie - vielleicht bis auf das bevölkerungsarme Südwestafrika - ihre Kolonien längst nicht so stark wie die anderen Imperialmächte Europas.
Kolonien für das Prestige des Kaisers
Der Außenhandels-Anteil der Kolonien betrug 1913 gerade einmal 0,6 Prozent. Bis 1914 waren - entgegen der Hoffnung der damaligen deutschen Regierung - auch nur etwa 30 000 Deutsche in die deutschen Afrika-Kolonien gezogen. In jenen Jahren wanderten aber mehr als eine Million Deutsche nach Amerika aus.
Für den ebenso flatterhaften wie selbstgefälligen Kaiser Wilhelm II. waren die imperialen Aktionen eher Prestigesache. Nützlich waren sie zuweilen als diplomatische Verhandlungsmasse. So arrangierte sich das Reich 1890 mit Großbritannien über Einflusssphären in Afrika und erhielt dafür Helgoland im so genannten Helgoland-Sansibar-Vertrag (wobei Sansibar nie, wie fälschlicherweise oft angenommen wird, deutsche Kolonie war).
Nach Kriegsbeginn 1914 ging es mit dem deutschen Kolonialreich in Afrika rasch zu Ende. Nirgendwo gab es ausreichend Truppen, um den Alliierten etwas entgegenzusetzen. Zudem verhinderte die britische Dominanz auf den Meeren den Nachschub aus Deutschland.
Das kleine Togo ging schon im ersten Kriegsmonat verloren, in Deutsch-Südwestafrika und Kamerun ging die Kolonialherrschaft bis 1916 zu Ende. Lediglich in Deutsch-Ostafrika, auf dessen Territorium später die Staaten Tansania, Burundi und Ruanda entstehen sollten, leisteten die Truppen von Paul von Lettow-Vorbeck bis 1918 Widerstand. Mit dem Friedensvertrag von Versailles wurde das Kolonial-Kapitel Deutschlands beendet - auch wenn später unter den Nationalsozialisten Träume von der Wiedereroberung der früheren Kolonien erneut aufblühen sollten.
Doch Diktator Adolf Hitler hatte andere Kolonial-Pläne als die Kolonialherren der Kaiserzeit: In seinem Weltkrieg wollte er Osteuropa und die Sowjetunion unterjochen für seinen "Lebensraum im Osten".
Author: Paul Hill
Last Updated: 1703202721
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