Der sechste Spieltag der Jubiläumssaison war für Südkoreas Fußballschaffende wie ein Traum mit Menschen. 45 000 kamen zum K-League-Heimspiel des FC Seoul gegen den FC Daegu ins Worldcup-Stadion der Hauptstadt. Die Zahl hatte fast mehr Nachrichtenwert als der Seouler 3:0-Sieg und das erste Tor des ausgeliehenen Nottingham-Forest-Profis Hwang Ui-jo. Die Medien nannten sie "historisch", denn seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie war es das erste Mal in Südkorea, dass irgendwo so viele Leute zusammenkamen. Und dann auch noch beim Liga-Fußball, der normalerweise nicht gut besucht ist.
Allerdings bestand der Verdacht, dass die Mehrheit auf den Tribünen gar nicht wegen des Spiels gekommen war, sondern wegen der Halbzeitpause. In der trat nämlich Lim Young-woong auf, ein hochpopulärer Schlager- und K-Pop-Sänger.
Die K-League, Ostasiens älteste Profifußball-Liga, wird dieses Jahr 40, und wie das immer ist bei solchen Jubiläen: Es gibt viel zu erzählen. Von früher, von jetzt, vom Kampf um das, was später werden soll. Der Fußball bekommt einen Auftritt, der über das Spiel mit seinen Torejagden und Abwehrschlachten hinausweist. In der K-League-Geschichte ist er dabei ausnahmsweise mal kein unangefochtener Zuschauermagnet - sondern das Kunstprodukt einer Heimat, in der die Menschen vor allem auf Baseball und Pop-Größen wie den besagten Lim Young-woong stehen. "Der Fußball ist hier nicht so verwurzelt im Lifestyle wie etwa in Deutschland", sagt Han Oung-soo, Vizepräsident der Liga. Daran hat die K-League wenig ändern können, seit sie im Juni 1983 mit fünf Teams in ihre erste Saison startete.
Es gibt die Theorie, dass der damalige Präsident die Menschen nicht gehorsamer machte - sondern ihre Lust auf Freiheit befeuerte
Han Oung-soo sitzt in einem Konferenzraum der Liga-Zentrale im Seouler Bezirk Jongno. Er ist ein stolzer, nachdenklicher Koreaner, Jahrgang 1956. Die 40 Jahre K-League nennt er "eine große Errungenschaft". Sie passt für ihn zum "Wunder am Fluss Han", zu Südkoreas rasantem Aufstieg vom bettelarmen Nachkriegsland zur zehntgrößten Volkswirtschaft der Welt. Er weiß, wie ärmlich die Metropole im Jahrzehnt nach dem Korea-Krieg von 1950 bis 1953 aussah. Und natürlich erinnert er sich an die Umstände der ersten Saison. "Wir waren damals noch ein Entwicklungsland." Und zwar eines, in dem die Demokratie trotz wilder Studentenproteste noch nicht angekommen war.
Der autoritäre Präsident Chun Doo-hwan, einst selbst Fußballer, hatte damals die Idee, die Menschen mit mehr Spaß von den Härten seiner Politik abzulenken. Er verlängerte Sperrstunden, lockerte die Zensur für freizügige Filme - und förderte den Profisport. 1982 wurde die Baseball-Liga KBO gegründet, ein Jahr später folgte die Fußball-Liga, eine Initiative des Fußball-Verbandes KFA. 1986 würden die Asien-Spiele, 1988 die Olympischen Spiele nach Seoul kommen.
Es gibt die Theorie, dass Chuns Entertainment-Strategie die Menschen nicht gehorsamer machte. Sondern dass sie dadurch erst recht Lust auf die Freiheit bekamen. So gesehen haben die K-League-Gründer indirekt einen Beitrag geleistet zu den Bürgerbewegungen, die 1987 die direkte Präsidentenwahl und den Beginn der heutigen südkoreanischen Demokratie erzwangen. Dabei waren die Fußballfunktionäre der ersten Stunde eigentlich damit beschäftigt, die junge Meisterschaft auszubauen und Aufmerksamkeit zu gewinnen.
Heute umfasst die K-League 25 Teams, zwölf spielen in der ersten, 13 in der zweiten Liga. Der erste Meister, der Kirchen-Klub Hallelujah FC, 1980 vom damaligen KFA-Präsidenten Choi Soon-young gegründet, ist nicht mehr darunter. Überleben konnten nur Firmenklubs wie die drei Gründungsmitglieder POSCO Dolphins, Yukong Elephants und Daewoo Royals. Sie gehören immer noch zum koreanischen Profifußball-Establishment. Sie heißen jetzt nur anders, was auch mit der Einsicht zu tun hat, dass sich lokale Fans mit Firmennamen nicht so gut identifizieren können. Die Dolphins gehören zwar immer noch dem Stahlunternehmen POSCO, sind aber heute die Pohang Steelers. Die Yukong Elephants des Mischkonzerns SK Group spielen nicht mehr im Großraum Seoul, sondern als Jeju United im ehemaligen WM-Stadion auf der Insel Jeju. Und aus den Daewoo Royals ist nach dem Besitzer-Wechsel zur Jahrtausendwende der Zweitligist Busan IPark geworden.
Der Zuschauerschnitt der K-League liegt bei 8100 pro Spiel - 20 000 bis 30 000 ist das Ziel
Das Feld der Firmenteams mit Meister Ulsan Hyundai ergänzen mittlerweile Klubs wie der Daegu FC oder Incheon United, die den Verwaltungen ihrer jeweiligen Standorte gehören. Unabhängige Fußballmarken gibt es nicht. Die deutsche Fußballromantik, wonach ein echter Erfolgsklub aus den Tiefen der Vereinskultur gewachsen sein sollte, funktioniert im Tigerstaat schon deshalb nicht, weil es keine echte Vereinskultur gibt. Fußball ist in Südkorea ein Zuschussgeschäft. Ohne starken Besitzer geht nichts. Nicht optimal, findet auch die K-League. "Die Nachhaltigkeit zu erhöhen, ist eine der Schlüsselaufgaben für uns heute", sagt Vizepräsident Han, "wir brauchen mehr Zuschauer, dann können wir über bessere Fernseh- und Sponsorenverträge sprechen." Der Zuschauerschnitt der K-League liege bei 8100 pro Spiel. 20 000 bis 30 000 ist das Ziel.
Aber ein Fortschritt war die K-League schon. Seit es die Profiliga gibt, hat das Nationalteam keine WM mehr verpasst. Der Kader, der bei der Heim-WM 2002 Platz vier erreichte und eine neue Fußballbegeisterung entfachte, bestand vor allem aus K-League-Spielern. Mittlerweile gibt es mehr Legionäre, aber auch der neue deutsche Nationaltrainer Jürgen Klinsmann wird den Spieler-Pool der K-League brauchen.
Seit 2008 gibt es ein Nachwuchskonzept, wonach jeder Klub mindestens drei Jugendmannschaften haben muss; eine für Grundschüler (sechs bis zwölf Jahre), eine für Mittelschüler (13 bis 15), eine für Oberschüler (15 bis 18). "Etwa 40 Prozent der 800 koreanischen K-League-Spieler kommen aus diesem Nachwuchssystem", sagt Han. Insgesamt gibt es laut K-League rund 100 000 Fußballerinnen und Fußballer in Südkorea.
Der Deutsche Fußballbund hat laut Mitgliederstatistik 2,2 Millionen Aktive. Trotzdem haben die Deutschen beim WM-Vorrunden-Aus 2018 in Russland 0:2 gegen Südkorea verloren, gegen eine Elf mit vielen K-League-Profis. Im globalisierten Fußball kommt es eben nicht nur auf Größe an, sondern vor allem darauf, was wer in bestimmten Momenten aus seinen Mitteln macht. Der Vizepräsident Han Oung-soo möchte jedenfalls nicht missverstanden werden, wenn er über ausbaufähige Zuschauerzahlen und fehlende Nachhaltigkeit spricht. Er steht zur K-League, natürlich.
Han hatte mit Fußball wenig zu tun, als er 1982 zur KFA kam. Er arbeitete bei der Versicherungsfirma, die der KFA-Chef Choi führte, und wurde von diesem in die Verbandsverwaltung versetzt. Eineinhalb Jahre später wechselte Han zum neuen Elektronik-Konzern-Klub Lucky-Goldstar FC, dem heutigen FC Seoul. Die Leidenschaft kam mit der Zeit. Sie wuchs, als Südkorea mit Japan den Zuschlag für die WM 2002 bekam. Und heute ist Han Oung-soo ein erfahrener Funktionär, der die K-League mit Überzeugung als das vertritt, was sie mit ihren Klub-Kreationen und umbenannten Firmenteams auch nach 40 Jahren noch ist: ein authentisches Gebilde der südkoreanischen Kommerzgesellschaft.
Author: Olivia Phillips
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